Schloss Nymphenburg

Eintrag veröffentlicht am 25.03.2021, aktualisiert am 08.05.2023

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Schloss Nymphenburg
Schloss Nymphenburg 1
80638 München

Erbaut: ab 1664, Fertigstellung 1675, Erweiterung ab 1701 und ab 1715
Entwurf: Joseph Effner (16871745), Agostino Barelli (1627–1697), Enrico Zuccalli (um 1642–1724), Giovanni Antonio Viscardi (1645–1713)
Geschütztes Baudenkmal:  ja

Status: drohende Gefährdung

Unterstützer: Bürgerinitiative Gemeinsam für Schloss Nymphenburg

Der Gesamtkomplex von Schloss Nymphenburg ist das einzige noch in allen seinen Facetten erhaltene Ensemble des 18. Jahrhunderts in München. Das Bauprogramm ist in seiner vielfältigen formalen Geschlossenheit und seiner Öffnung der höfischen Repräsentation zum praktischen Leben einzigartig.

Mit einer geplanten Höhe von jeweils 155 Metern werden sich zwei Wolkenkratzer an der Paketposthalle, wiewohl 1,9 km entfernt von Nymphenburg, unübersehbar in das Stadtbild einschreiben und Sichtachsen und Blickbeziehungen dauerhaft belasten.

Neue Gefährdung für das Ensemble Schloss Nymphenburg – bald Hochhäuser im Blick?

Hochhäuser am Horizont – keine guten Aussichten für und von Schloss Nymphenburg, Grafik: Bürgerinitiative HochhausSTOP

Das vom Deutschen Verband für Kunstgeschichte hinsichtlich der geplanten baulichen Ausgestaltung kritisch gesehene Projekt Biotopia verzögert sich derzeit (vgl. SZ vom 29.09.2022). Es bestehen jedoch Hoffnungen, hier doch zu einer Lösung zu kommen, die dem Denkmal mit seinen Zeitschichten in Gänze gerecht werden wird.

Aktuell zieht jedoch neue Gefahr am Horizont auf, im wahrsten Sinne des Wortes. Ungemach droht durch die geplanten Festschreibungen in der Münchner Hochhausstudie (HHS) 2023 und den auf den Weg gebrachten Bebauungsplan für zwei Wolkenkratzer an der Paketposthalle. Mit einer geplanten Höhe von jeweils 155 Metern werden sich diese Türme, wiewohl 1,9 km entfernt von Nymphenburg, unübersehbar in das Stadtbild einschreiben und Sichtachsen und Blickbeziehungen dauerhaft belasten.

Das Denkmalnetz Bayern hat in seiner Stellungnahme im Rahmen der frühzeitigen Bürgerbeteiligung „Änderung des Flächennutzungsplans mit integrierter Landschaftsplanung für den Bereich V/65 und Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2147“ im März 2023 eine klare Position gegen diese Hochhausplanungen bezogen. Die Rote Liste gefährdeter Kulturdenkmäler im Deutschen Verband für Kunstgeschichte schließt sich dieser Einschätzung an.

Mängel in der planerischen Vorgehensweise

Zu kritisieren ist insbesondere die Vorgehensweise. Eine methodisch fundierte Sichtachsen- und Raumwirksamkeitsuntersuchung innerhalb des Ensembles Schloss Nymphenburg hat nicht stattgefunden. Betrachtet wurde nur die zentrale Mittelachse, die auf das Hauptgebäude mit dem weltberühmten Steinernen Saal zuführt. Unberücksichtigt blieb jedoch das dem Schloss vorgelagerte, riesige Schlossrondell, dessen Halbkreisform den Blick auf die Schlossfassade weitet. Die hier befindlichen Kavaliershäuser und die zugehörige Schlossmauer bilden den Rahmen, in dem Nymphenburg, eines der größten Barockschlösser Europas, seine grandiose Wirkung entfaltet. Das Stilmittel der räumlichen und architektonischen Steigerung diente der gezielten Inszenierung der fürstlichen Herrschaft und deren Lebenswelt. Eine Störung dieser historisch geprägten Gesamtkomposition – etwa durch die geplanten Wolkenkratzer – trifft also das Wesen und den Charakter dieses bedeutenden Denkmals barocker Stadtbaukunst. Insofern muss es das Ziel der Denkmal- und Stadtbildpflege bleiben, die Sichtbezüge auf das Schloss und innerhalb der Schlossanlage zu erhalten und zu bewahren. Das historische Bild und die barocke Anmutung des Schlossrondells gehören unmittelbar zur städtebaulichen Großfigur und zur geschützten Erscheinung von Schloss Nymphenburg. Die Reduktion auf eine ausgewählte Achse greift zu kurz, da sie den raumwirksamen Charakter der Gesamtanlage nicht berücksichtigt und dem Untersuchungsgegenstand so nicht gerecht wird.

Drohende Auswirkungen auf das Kulturerbe und seine internationale Wahrnehmung

Werden die Untersuchungen nicht verbessert und entsprechend die Planungen korrigiert, könnte sich künftig also neuzeitliche Architektur in einer Weise in dieses Blick-Gefüge hineindrängen, die die historische Schlossanlage, ihre baukünstlerische Aussage und ihre Denkmalbedeutung erheblich beeinträchtigt. Die auf der mangelhaften Untersuchung basierende Hochhausplanung ist daher in dieser Form abzulehnen und eine erneute Untersuchung zu fordern, die auch dem Vergleich mit anderen bundesweiten und internationalen Anlagen und den dort angesetzten Qualitätsmaßstäben Stand hält.

Schloss und Park Nymphenburg stellen ein Kulturdenkmal von internationalem Rang dar. Eine Entwertung stellt eine schwere Hypothek auch für dessen künftige Vermittlung und seine internationale Anerkennung dar.

Text: Claudia Mann, Elke Wendrich, Doris Fuchsberger
Redaktion: Kilian Heck, Martin Bredenbeck

Hinweis: Der Eintrag wurde am 08.05.2023 um den oben stehenden Text ergänzt.

Neubau eines Schlosstraktes für das Museum BIOTOPIA

Der geplante Neubau eines Schlosstraktes für das Museum BIOTOPIA sucht den Bruch mit der Einheitlichkeit, um seine Identität auffällig vorzuführen. Der Kontrast würde die Erscheinung des Schlosses beschädigen und widerspricht der ursprünglichen Konzeption der Anlage. Die künstlerische und konzeptuelle Einheit von Schloss Nymphenburg muss bewahrt werden.

Schloss Nymphenburg gehört zu den bedeutendsten Barockschlössern in Mitteleuropa, vielleicht ist es das nobelste von ihnen. Sein Park mit den erlesenen Pavillons bildet einen Höhepunkt der barocken Gartenkunst. Und dennoch, nicht einmal so ein Kleinod ist vor absichtlicher Beschädigung sicher. Als wenn die Kriegszerstörungen nicht ausgereicht hätten, um den historischen Baubestand zu dezimieren: Ein Teil der Anlage soll durch einen Neubau ersetzt werden, dessen „Bruch mit der tradierten Fassadengestaltung“ als besonderes Merkmal gerühmt wird. Gottlob ist nicht der Hauptbau betroffen, sondern „nur“ ein Seitentrakt. Doch damit wird der besondere Charakter der gesamten Anlage markant verfälscht. Was zeichnet das Schloss aus, und wie soll seine Erscheinung geschmälert werden?

Noble Schlichtheit. Schloss Nymphenburg im Winter, Stadtseite. Foto: H. Günther, 2021

Das Schloss ist Teil eines Ensembles von Bauten, in denen die Kurfürsten von Bayern residierten und ihr Selbstverständnis zur Schau stellten. Es liegt nahe bei der Stadtresidenz, die Fahrt mit der Kutsche dauerte eine Stunde, mit dem Fahrrad braucht man heute nur eine halbe Stunde. Im Winter residierten die Kurfürsten in der Stadt, von April bis Oktober hauptsächlich in Nymphenburg, manchmal in Schleißheim und Fürstenried. Die Stadtresidenz zeugt von der hohen Kultur und langen Tradition der Herzöge von Bayern. Die äußere Erscheinung und die offiziellen Prunkräume des Renaissance­baus wurden im Barock nicht angetastet, nur zwei Wohnsuiten und eine Ahnengalerie zur Demonstration der Tradition wurden eingefügt. Das Neue Schloss Schleißheim, ein prachtvoller Barockbau, stellt augenfällig den Stolz des erfolgreichen Herrschers, die Triumphe des siegreichen Feldherrn zur Schau. Dabei überstrahlte der äußere Glanz auch die Schwankungen des Glücks.

Ein volkstümliches Schloss. Eisstockschießen auf dem Kanal vor Schloss Nymphenburg. Foto: H. Günther, 2016

Schloss Nymphenburg zeichnet sich unter den großen Barockschlössern durch seine edle Schlichtheit aus. Die Bescheidenheit fällt auf den ersten Blick auf. Der Hauptteil der Anlage ist weiß verputzt mit grauer Gliederung. Eine Reihe von Pilastern mit wenigen dekorativen Elementen im Zentrum reicht wie bei einer palladianischen Villa als Repräsentationsmotiv, die Gliederung der weitläufigen Seitentrakte ist auf strenge geometrische Elemente und rustikale Formen reduziert. Die Schönheit der Anlage beruht auf den Proportionen der diversen Baukörper, die sich ohne alle prahlerischen und theatralischen Effekte zu einer harmonischen Einheit zusammenschließen. Das Deckenbild im Hauptsaal bringt zum Ausdruck, dass Kultur und die Musen in der friedlichen Natur des Nymphenburger Schlosses herrschen sollen.

Zulieferer für den Residenzbetrieb. Rondell vor Schloss Nymphenburg, nördlicher Teil. Der zweite Pavillon von rechts beherbergt die Porzellan­manu­faktur. Foto: H. Günther, 2021

Das Nymphenburger Schloss kulminiert nicht in einem wuchtigen Baublock wie die meisten Barockschlösser, sondern bildet eine weit ausgedehnte Anlage aus vielfältigen Teilen. Es ist sogar breiter als das Schloss von Versailles. Das liegt nicht etwa daran, dass dermaßen viel Prunk ausgebreitet würde, sondern im Gegenteil daran, dass gemeine Bereiche eingegliedert sind, die sonst an Barockschlössern verdeckt sind. Dem Mittelbau sieht man trotz aller späteren Veränderungen noch an, dass er ursprünglich nur eine Villa suburbana war, ein Landsitz, den Kurfürst Ferdinand Maria seiner Gemahlin aus Anlass der Geburt des Erbprinzen geschenkt hatte. Neben der alten Villa standen die kurfürstliche Schwaige, ein kleines Haus für die Gutsverwaltung, und eine Dorfkirche, der Hl. Magdalena geweiht. Alle diese Funktionen wurden im neuen Schloss übernommen. Außer den fürstlichen Räumen einschließlich der Räume für kulturelle Veranstaltungen schloss es auch weithin sichtbar Wirtschaftstrakte und große Stallungen, Küche und Metzgerei, Ämter, Amtswohnungen, eine Orangerie etc. ein. Die Schlosskapelle wurde wie die alte Dorfkirche der Hl. Magdalena geweiht, und im Park ließ der Kurfürst die Magdalenenklause als Ort der Besinnung bauen. An einem der Schlossrisalite wurden die Maschinen zur Regulierung des Wassers für Brunnen und Kanäle als technische Meisterwerke zur Schau gestellt. Sie sind heute noch in Betrieb und von außen zu sehen, wenn auch nicht so gut wie ursprünglich. Zudem war ein Mädcheninternat in die Anlage integriert, zunächst für adelige Zöglinge, nach der Säkularisation auch für bürgerliche Töchter. Ordensschwestern leiteten es. Sie lebten ebenfalls im Schloss. Bei ihrem Dormitorium hatten sie eine eigene Kirche, eine kleine Perle des bayerischen Rokoko. Das Altarbild malte niemand Geringeres als Giovanni Battista Tiepolo. Die Messen in der Kirche waren für das gemeine Volk zugänglich. Eine derartige Öffnung nach außen ist nicht eben typisch für Barockschlösser.

Die Landwirtschaft gehört von Anfang an zum Residenzbetrieb. Schloss Nymphenburg, südlicher Trakt mit der Schwaige. Foto: H. Günther, 2021

Das alles war im Hauptbau untergebracht. Zum Schloss gehören aber noch weitere Trakte und Gebäude, die den Hof mit den Bürgern oder mit dem praktischen Leben verbanden. Diese ganzen Bereiche sind farblich vom Hauptbau abgesetzt. Statt des ungewöhnlich dezenten Zusammenklangs von Weiß und Grau am Schloss wurde hier durchgehend die seinerzeit eher normale Verbindung von Weiß mit ockerfarbiger Gliederung oder Rahmung aufgenommen.

Die ersten Teile dieses Bereichs bilden die äußersten Trakte an den beiden Seitenflügeln des Schlosses. Schon Joseph Effners Plan von 1715 für die gesamte Anlage sah vor, dass sie sich durch ihre simple Gestaltung vom Hauptbau unterscheiden, aber einander formal entsprechen. Im Süden, anschließend an den Marstall, liegt die Schwaige. Zu ihr gehörten ein Landwirtschaftsbetrieb und ein ganzes Arbeiterquartier. Dieser Teil ist so gut erhalten wie wenige zeitgenössische Bauten dieser Art. Im Norden, anschließend an den Flügel mit der Klausur der Nonnen und ihrer Kirche wurde ein Hospiz für die Kapuziner eingerichtet, die als Priester die geistlichen Handlungen am Hof verrichten sollten. Kurfürst Max Emanuel nahm ihren Anschluss an die Landresidenz so wichtig, dass er selbst im Beisein des ganzen Hofes 1718 den Grundstein legte. Die enge Verbindung der Wittelsbacher mit der Kirche und gerade auch mit den minderen Mönchsorden hatte Tradition. Neben der Stadtresidenz lag das Franziskanerkloster Münchens, Kaiser Ludwig der Bayer schenkte ihm eine besonders kostbare Reliquie, die Kapuziner wurden auch nach Schleißheim berufen. Da die Bewohner des umliegenden Landes nun immer mehr zu den Messen ins Nymphenburger Schloss kamen, wurden die Kapuziner wenige Jahre nach dem Einzug in ihr Hospiz bestimmt, auch das einfache Volk zu betreuen und an Sonn- und Feiertagen eine Predigt für es im Schloss zu halten.

Auch die Seelsorge für Hof und Land gehört von Anfang an zum Residenzbetrieb. Schloss Nymphenburg, nördlicher Trakt mit Kapuziner-Hospiz und rechts davon Ansatz des Rondells. Foto: H. Günther, 2021

Vor dem Ehrenhof wurde dann ein Rondell angelegt, im weiten Halbkreis umgeben von einer Ringmauer, die Reihen von sog. „Kavaliershäusern“ einschließt und auch formal miteinander verbindet. Die Vielfalt in der Einheit herrscht hier noch deutlicher als am Hauptbau. Einige von den Häusern sind einfach, andere sehen wie vornehme Palais aus – daher die Bezeichnung „Kavaliershäuser“. Aber hier waren keine Höflinge untergebracht, sondern eine Art von Hotel, ein Wirtshaus, eine Mühle und die Porzellanmanufaktur Nymphenburg. Die Manufaktur ist heute wegen ihres feinen Geschirrs bekannt, aber sie produzierte ursprünglich auch Weißporzellan, das für einfache Bürger erschwinglich war. Im Rondell waren Wiesen mit unregelmäßigen Kanälen und einer Schleuse angelegt. Diese funktionalen Einrichtungen sind bis heute teilweise erhalten. Außer der Farbigkeit zeigt auch die Fortsetzung der Ringmauer mit gleichbleibender Gestaltung an der Straße, die vor dem Hauptbau seitlich vom Rondell abgeht, dass jenes mit den äußersten Seitentrakten des Schlosses zusammenhängt.

Der Bereich des bürgerlichen oder tätigen Lebens setzte sich jenseits des Rondells auch in Richtung auf die Stadt fort. Wer von der Stadt zum Schloss kommt, begegnet ihm zuerst, denn entlang dem Kanal, der auf das Schloss zuführt, entstanden Häuser für gehobene Dienstleister oder Künstler, die am Hof angestellt oder auf eigene Rechnung für den Hof tätig waren. Sie waren für den Bau ihrer Häuser selbst verantwortlich, hatten sich aber an eine einheitliche Gestaltung zu halten.

Ein Beispiel für den Wiederaufbau nach dem Krieg ohne Effekthascherei. Schloss Nymphen­burg, nördlicher Trakt mit Kapuziner-Hospiz im Vordergrund. Das bekannteste Beispiel für den umsichtigen Wiederaufbau in München ist Hans Döllgasts puristische Gestaltung der Alten Pina­kothek. Foto: H. Günther, 2021

So subtil wie die ganze Schlossanlage von Nymphenburg als vielfältige Einheit konzipiert wurde, erwartet sie natürlich auch aufgenommen zu werden. Ihre dezente Gestaltung wendet sich an kultivierte Betrachter, die offen dafür sind zu erkennen, was die Architektur aussagt. Ein solcher Blick entsprach nicht der unzivilisierten Haltung der National­sozialisten. Die Schlossanlage gehörte schon damals zu den schützenswerten Kunstdenkmalen Bayerns, aber das ignorierten sie. Ein persönlicher Freund Hitlers kam auf die Idee, das Schloss in ein Jagdmuseum zu transformieren. Kronprinz Rupprecht von Bayern und Georg Lill, der Direktor des Landesamts für Denkmalpflege, setzten sich dagegen zur Wehr. „Jeder sichtbare bauliche Eingriff in das Schlossgebäude und jede grundsätzliche Veränderung der Gartenanlage würde eine Zerstörung des außerordentlich harmonischen Gesamtwerkes bedeuten und von der Münchener Bevölkerung nicht versstanden und nicht gebilligt, in Deutschland und in der Welt aber mit Recht als Zerstörung hoher Kulturwerte gebrandmarkt werden“, schrieb der mutige Denkmalpfleger damals.

Der Widerstand zwang die Nazis, ihren Appetit zu zügeln und sich auf den nördlichen Trakt zu beschränken. Dieser Teil wurde umgebaut. Das Internat wurde geschlossen, die Nonnen aus dem Schloss vertrieben, ihre Kirche profaniert und grobschlächtig als Bibliothek umgestaltet. Das kostbare Altarbild von Tiepolo landete als „Leihgabe“ in den Staats­gemälde­samm­lungen. Das Kapuzinerhospiz wurde bis auf die Grundmauern abgerissen. Seine schlichte Architektur verdiente in den Augen der Nazis keinen Schutz, obwohl Georg Lill bereits darauf hingewiesen hatte, dass die „für ein Fürstenschloß außergewöhnliche Einfachheit“ gerade den besonderen Charme von Schloss Nymphenburg ausmacht. Schlichtheit als Ausdruck der Verbundenheit der Fürsten mit ihrem Volk, das respektierten die Nazis nicht. An der Stelle des originalen Seitenflügels sollte ein neuer Trakt für das Jagdmuseum errichtet werden. Aber dazu kam es nicht mehr, weil die finanziellen Mittel für den Krieg gebraucht wurden.

Bescheidenheit als Tugend. Schloss Nymphen­burg, nördlicher Trakt mit Kapuziner-Hospiz in seiner originalen Schlichtheit. Foto: Archiv H. Günther, 1937

Nach dem Krieg (ab 1965) wurde das Hospiz wiederaufgebaut. Das zuständige Ministerium legte detailliert fest, dass der Neubau trotz Berücksichtigung seiner neuen Funktion als Universitätsinstitut für Genetik dem historischen Bestand angeglichen werden sollte. Der Architekt Albin Steininger, ein Schüler von Hans Döllgast, vereinfachte die einzelnen Elemente, hielt sich aber daran, den Flügel im Ganzen seiner originalen Erscheinung anzupassen. Die moder­nen Formen ordnen sich bescheiden dem schlichten Stil der Schwaige, des Pendants zum Hospizflügel, unter. Daher wurde der Bau unter Denkmal­schutz gestellt. Er steht zudem wie die ganze Schlossanlage unter Ensembleschutz.

Der Freistaat Bayern plant jetzt, das nördliche Ende des Schlosses in die Erweiterung des Museums „Mensch und Natur“ zum „BIOTOPIA Naturkunde­museum Bayern“ einzubeziehen. Dafür soll Steiningers Trakt durch einen Neubau ersetzt werden. 2013 wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben. In der Ausschreibung spielt die historische Substanz des Schlosses keine Rolle mehr, obwohl die gesamte Schlossanlage unter Ensembleschutz steht. Im Gegenteil, das Museum soll sich von seiner dezenten Umgebung abheben, damit seine Identität spektakulär zur Geltung kommt. Die Wettbewerbsjury prämierte den Entwurf von Staab Architekten GmbH Berlin, denn: „Der Bruch mit der bis heute tradierten homogenen Fassadengestaltung der Schlossanlage wird bewusst inszeniert.“ Wieso ist es möglich, dass ein Teil des Nymphenburger Schlosses zerstört werden soll, während zur selben Zeit die Münchner Residenz mit aller Liebe so wiederhergestellt wird, wie sie vor der Kriegszerstörung war? Offenbar gilt der zur Zerstörung freigegebene Nordtrakt des Schlosses als minderwertig, weil er nur schlicht ist. Aber eben dieser Zug gehört zur besonderen Erscheinung des Schlosses. Kultureller Wert ist nicht an Pracht und Prahlerei gebunden.

Eine Bürgerinitiative setzt sich seit Jahren mit unermüdlichem Engagement und gründlichem Fachwissen für die Erhaltung von Steiningers Bau ein, um den einheitlichen Charakter des Schlosses und ein Zeugnis für den umsichtigen Wiederaufbau nach dem Krieg in Bayern zu bewahren. Als die Bürgerschaft (Ende 2016) darauf hinwies, dass der Trakt der Schlossanlage unter Denkmalschutz stehe, weil er in die Denkmalliste von 1979 aufgenommen ist, wurde zunächst die Kartierung im Denkmalatlas geändert und nach weiteren Hinweisen die Adresse mit dem Bezugstext („Maria-Ward-Straße 1a/b: Nörd­licher Abschlußbau des Schlosses Nymphenburg (siehe dort), jetzt Institut für Genetik (Nr. 1a) und Zoologische Staats­sammlung (Nr. 1b). [Nymphenburg, Fl.Nr. 3]“) aus dem Denkmallisteneintrag zu Schloss Nymphenburg entfernt. Das Landesamt für Denkmalpflege ist der Ansicht, die Nennung des Trakts in der Denkmalliste bedeute nicht, dass der Trakt ein Denkmal sei, sondern sie sei nur als Verweis darauf gemeint gewesen, dass er unter der angegebenen Adresse existiere, und dass der Bau aufgrund der damals erst kurz zurückliegenden Erbauungszeit nicht die Voraussetzungen für ein Baudenkmal gehabt habe. Allerdings als Teil eines geschützten Denkmalensembles, so stimmt das Landesamt der Bürgerinitiative zu, steht er unter Ensembleschutz.

Die überregionale Presse hat die Bürgerinitiative unterstützt. Die FAZ prangerte den „kaltschnäuzigen Umgang“ mit dem historischen Erbe Bayerns an (20.09.2017). Mit Rücksicht darauf, dass der Ensembleschutz von Nymphenburg nicht einfach übergangen werden kann, musste das Architekturbüro Staab einige Retuschen an seinem Projekt vornehmen. Nach wie vor gefährdet der erratische Design-Futurismus die einheitliche Erscheinung des Nymphenburger Schlosses. Sicher belebt das Museum das Schloss schön. Es führt Interesse an der Natur und Begegnung mit der kulturellen Tradition zusammen. Diese Verbindung setzt sogar die Tradition der alten „Kunstkammern“ fort. Das Museum sollte also nicht als Fremdkörper auftreten und die Einheit durch eine geschichtsvergessene Inszenierung seiner Identität beeinträchtigen. Es sollte in die Einheit integriert werden, wie es der ursprünglichen Offenheit des Schlosses entspricht. Demnach wäre ihm eigentlich der alte Haupteingang in den Nordtrakt als Zutritt angemessen. Dadurch würde das Museum markant zur Geltung kommen, das Schloss bräuchte nicht beschädigt zu werden, die Verbindung der Begegnung mit Kultur und mit Natur würde angemessen hergestellt. Der Eingang durch das ehemalige Kapuzinerhospiz bleibt eine Hintertür, auch wenn er noch so auffällig hervortritt, und sondert das Museum vom Schloss ab statt es mit ihm zu verbinden. Überdies wird, wenn einmal ein Teil aus dem Ensemble herausgebrochen ist,  erfahrungsgemäß der Appetit auf mehr wachsen, und er lässt sich dann leicht mit dem Argument befriedigen, dass ein Teil bereits herausgebrochen wurde und die Einheit damit ohnehin beschädigt ist.

Text: Hubertus Günther
Redaktion: Martin Bredenbeck

Hinweis: Der Eintrag wurde am 23.04.2021 um Erläuterungen zur Nennung in der Denkmalliste ergänzt.

Doppelbild oben: (1) Repräsentation ohne Prahlerei. Bernardo Bellotto, Schloss Nymphenburg, Stadtseite, 1761. Im Vordergrund sieht man den Schlosskanal zwischen den Alleen, die in Richtung Stadt führen, und das Rondell vor dem Schloss, links der gesamte südliche Teil, rechts die Mühle am Anfang des nördlichen Teils. Hinter den beiden Enden des Rondells vor dem Schloss erscheinen links die Schwaige und rechts im Ansatz das Kapuziner-Hospiz. Links ist Freizeit, rechts wird gearbeitet. Ausgehend vom Schauraum mit den Pumpmaschinen im Eckrisalit des rechten Schlosstrakts führt ein Kanal auf die Mühle zu, an der Mühle weiden Rinder und Schafe, die Wiese vor dem Schloss wird gerade gemäht. Foto: Bayerische Schlösserverwaltung / (2) Schloss Nymphenburg, Foto: 2005 (Wikimedia Commons)

Presseresonanz

Biotopia in Nymphenburg steht auf der Kippe (Abendzeitung München, 30.04.2021)

Streit um Museums-Neubau am Schloss Nymphenburg (Bayerischer Rundfunk, 05.05.2021)