Die Aufnahmepolitik des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker bis Anfang der 1960er Jahre und seine Wiederannäherung an NS-verfolgte emigrierte Kunstwissenschaftler/-innen

Ein Beitrag von Timo Saalmann zum Workshop „Der Verband Deutscher Kunsthistoriker 1948 bis 1968/70. Die ersten zwanzig Jahre seines Bestehens“ (Nürnberg, 01.–02.10.2018).

Die Überlieferung des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker[1] erlaubt es, Aspekte der Verbandsgeschichte zu untersuchen, die Fragen der berufsständischen Organisationsform sowie der Selbstwahrnehmung der Kunstwissenschaft als Fach betreffen, darüber hinaus aber als Diskurs über die Nachgeschichte des Nationalsozialismus zu verstehen sind.

Ich möchte auf drei Bereiche näher eingehen:

  1. die Aufnahmepolitik des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker in den 195oer Jahren im Hinblick auf die NS-Vergangenheit antragstellender Fachkollegen.
  2. das Selbstverständnis der deutschen Kunsthistoriker in der Nachkriegszeit, wie es sich in der Überlieferung des Verbandes spiegelt, sowie
  3. der Umgang des Verbandes mit sogenannten ehemaligen deutschen Kunsthistorikern, also den zumeist aus Deutschland geflohenen NS-Verfolgten.

Diese drei Aspekte verweisen auf einen übergeordneten Themenkomplex, der sich einem spezifischen Diskursfeld zuordnen lässt. Das Feld, das hier verhandelt wurde, war das der nationalen Identität nach dem Nationalsozialismus – und zwar das Selbstbild des einzelnen Kunsthistorikers, mehr noch aber des Fachs, das zuvorderst die „deutsche“ Kunstgeschichte, also eine national definierte Kunstgeschichte schrieb. Dies ist m. E. ein zentraler Diskurs, dem bei der Bearbeitung der Verbandsgeschichte insgesamt Beachtung geschenkt werden sollte.

Hinweisen möchte ich noch darauf, dass die Vorgänge, die ich schildere, zumeist nicht öffentlich, d. h. auf dem Korrespondenzweg und auf der Vorstandsebene verhandelt wurden. Die Themen, denen sich Gremien oder Mitglieder des Vorstands in einer Art Arkanpolitik widmeten, wurden den damaligen Verbandsmitgliedern dann nur im Resultat bekannt, also in Mitteilungen des Verbandes oder in Berichten und Aussprachen auf den Kunsthistorikertagen, erreichten dadurch aber eine größere Öffentlichkeit.

Aufnahmepolitik in den 1950er Jahren

Wie kam der junge Verband zu seinen Mitgliedern? An der Aufnahme Interessierte richteten in den Anfangsjahren ein formloses Schreiben an den Vorstand, da es noch keine standardisierten Anmeldeformulare gab. Darauf folgte die Bitte, Auskunft über den Werdegang zu geben, das hieß im Wesentlichen Thema, Entstehungsort und Betreuer der Dissertation zu nennen. War an diesen Kriterien nichts zu beanstanden, wurde die Mitgliedschaft meist gewährt. Dass ein Verband darüber bestimmte, wen er aufnahm, ist an sich nicht weiter bemerkenswert. Über diese Auswahl übte der Verband zweifellos aber auch fachpolitischen Einfluss aus. Er definierte gleichsam, wer Kunsthistoriker oder Kunsthistorikerin in (West-)Deutschland war und wer nicht. So spielten in dieser Zeit Anträge von Nichtpromovierten vor der Einführung von Magisterstudiengängen fast keine Rolle, Mitte der 1960er Jahre wurde dann aber heftig gestritten, ob Magisterabsolventen die Mitgliedschaft gewährt werden sollte. Offensichtlich galt, und das ist fach- und kulturgeschichtlich interessant, die Promotion als Voraussetzung, um als Fachkollege oder -kollegin anerkannt zu werden. Es war dies gewissermaßen eine zusätzliche Ebene in der berufspolitischen Selbstorganisation, die zunächst von der beruflichen Qualifizierung – dem Doktorexamen und der gegenwärtigen Tätigkeit – der Antragstellenden abhing. Zugleich war dem Verband die Möglichkeit an die Hand gegeben, eine Selbstregulierung innerhalb des Fachs zu erreichen und in Teilen auch den Zugang zum Stellenmarkt zu beeinflussen.

Interessant sind daher die Personen, die nicht als Mitglieder akzeptiert wurden, und die Gründe, warum sie nicht aufgenommen wurden. Das will ich nicht vertiefen, sondern lediglich ein Beispiel anführen, das im Zusammenhang der Nachgeschichte des Nationalsozialismus Erwähnung verdient.

Im Mai 1951 schrieb Hubert Schrade (1900–1967) an den Verband. In jenem Jahr sollte der Kunsthistorikertag in Berlin stattfinden, die Vorbereitungen waren angelaufen. Über einen Dritten, Friedrich Winkler (1888–1965) vom Berliner Kupferstichkabinett, hatte Schrade Unterlagen zur Verbandstagung erhalten und sich an Paul Ortwin Rave (1893–1962) gewandt. Rave, ehemaliger Kustos der (Ost-)Berliner Nationalgalerie und Autor der 1949 erschienenen, mit entschuldender Absicht verfassten Schrift Kunstdiktatur im Dritten Reich, koordinierte die Verbandsarbeit in Berlin: „Diesen Verband“, gemeint war der Verband Deutscher Kunsthistoriker, schrieb ihm Schrade, „kenne ich bisher nur vom Hörensagen. Ich kann mich aber schwer entschließen, den Antrag auf Mitgliedschaft bei einem Verbande zu stellen, dessen Aufnahmebedingungen ich nicht kenne und der es anscheinend nicht als selbstverständlich betrachtet, daß ein Ordinarius der Kunstgeschichte Mitglied sein kann.“ Auf dem Schreiben ergänzte Rave handschriftlich: „Aus dem empfindlichen Ton [der] Antwort geht hervor, daß es vielleicht doch nicht richtig oder zumindest verfrüht war [Schrade zu kontaktieren]. Wie sollen wir uns verhalten?“ Klar ist somit, dass Winkler die Unterlagen nicht aus Unwissenheit oder Versehen an Schrade gab, sondern, wenn er darin nicht einer Absprache mit Rave und dem Vorstand folgte, so doch zumindest mit dessen Kenntnis handelte.

Ursache der Unsicherheit, wie man mit Schrade umgehen sollte, war dessen NS-Vergangenheit: die unrühmliche Beteiligung an der Entlassung August Grisebachs (1881–1950) in Heidelberg, der eine jüdische Frau hatte, sowie als regimekonformer Dekan der Philosophischen Fakultät an der Reichsuniversität Straßburg im besetzten Elsass, deren Prorektor er war. Peter Betthausen nannte Schrade den „wohl engagiertesten Nationalsozialisten unter den bedeutenden deutschen Kunsthistorikern“ (Metzler Kunsthistoriker-Lexikon, S. 371–373). Zu dem Zeitpunkt, als seine Aufnahme in den Verband erwogen wurde, war Schrade noch persona non grata, erst 1954 erhielt er wieder einen Lehrstuhl in Tübingen.

Rave schrieb darauf an das Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, wo die Vorstandsarbeit in dieser Zeit erledigt wurde, um sich in der Frage rückzuversichern. Zudem erörterte er knapp drei weitere Fälle, bei denen die Aufnahme in den Verband nicht opportun schien. Es sei ein ,,gewagtes Unternehmen“, bei den Kandidaten die „Art ihrer Promotion und die Art ihrer jetzigen Tätigkeit zu erkunden“, befand Rave: „doch wir werden sehen, wie sie reagieren“. Es handelte sich sämtlich um Kunsthistoriker, die ihres opportunistischen Verhaltens im Dritten Reich wegen als problematisch empfunden wurden: Robert Nissen (1891–1969), 1945 entlassener Direktor des Westfälischen Landesmuseums Münster, Hans Cürlis (1889–1982), der sich als Regisseur von Kulturfilmen einen Namen gemacht hatte, und Will Grohmann (1887–1968), eine ambivalente Figur, der als Propagandist des Expressionismus gleichwohl karrieretechnisch in der NS-Diktatur profitiert hatte.

Diese Episode verdeutlicht, dass der Vorstand es sich keineswegs leicht machte, als belastet geltende Kunsthistoriker aufzunehmen. Schwierig zu entscheiden ist auf der Basis dieser wenigen Quellen, ob in Einzelfällen auch persönliche Animositäten eine Rolle spielten, ob tatsächlich moralische Vorbehalte wegen der NS-Belastung einzelner Kunsthistoriker vorlagen oder – dem übergeordnet – schlicht die Sorge um das Ansehen des Verbandes überwog. Mit Blick auf die Verstrickung fast jedes Einzelnen im Nationalsozialismus wird die Auswahl nicht konsequent gewesen sein und kann es letztlich auch gar nicht gewesen sein. Im Umkehrschluss wird gleichwohl deutlich, dass man die Mehrzahl der Mitglieder für rechtschaffen und für nicht oder minder NS-belastet hielt.

Selbstverständnis des Verbandes nach der „Stunde null“

Die Beobachtung zur Motivation für das Handeln des Vorstandes möchte ich in den Kontext der Annäherung an die emigrierten Fachkolleginnen und -kollegen in den sechziger Jahren und das Selbstverständnis des Verbandes stellen. In der Eröffnungsansprache des Verbandsvorsitzenden Hans Kauffmann (1896–1983) auf dem Kunsthistorikertag 1960 in Basel finden sich Aussagen zur Selbstwahrnehmung der Verbandsgründung, die ich als „Erfindung einer Tradition“ (Eric Hobsbawm) im Sinne einer Alternativerzählung zur Realgeschichte der NS-Zeit verstehe.

Zur Gründung des Verbandes habe, führte Kauffmann aus, der „Entschluß den Ausschlag“ gegeben, den „Notstand der Isolierung der Nachkriegsjahre, der Isolierung voneinander wie vom Ausland“ zu überwinden. Nach „jahrelange[n] Bemühungen [habe dies] ans Ziel“ geführt. Der Verband habe zunächst seine „Tätigkeit auf interne Fragen gerichtet“ und „auch unsere […] Tagungen [haben] diesen Charakter gewahrt“. Die Entscheidung, in Basel zu tagen, war besonders wichtig, zumal auf Einladung aus dem benachbarten Ausland. „Trotz so entschiedener Abgeschlossenheit“, so Kauffmann, habe die Einladung „begeisterten Widerhall geweckt“ und zu einer länderübergreifenden Vereinigung, zur „ersten schweizerisch-deutschen Kunsthistorikertagung“ geführt. Mit der „Oberrheinische[n] Kunst“, dem Generalthema der Tagung, sei ein „Themenkreis“ gefunden worden, der „Ihnen wie uns“, also Schweizern und Deutschen, „nahesteht und zugehört“. Mit Blick auf die bisherige Forschung fühlte sich Kauffmann bestätigt: „alles, was von unserer Seite dazu geboten werden kann, ist durchwirkt von Studien, die von Ihrer Seite beigetragen worden waren“. Hier wird Gemeinsames, nämlich ein kunsthistorisches Thema, das Forscher beider Länder interessierte, und Trennendes verhandelt, d. h. scheinbar nationale Eigenarten, die sich in der Forschung beziehungsweise einer spezifischen, national codierten wissenschaftlichen Herangehensweise niederschlagen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Kauffmann einige, wie er betonte, „weit hergereist[e]“ Kollegen und eine Kollegin begrüßen konnte, die nach 1933 in die USA geflohen waren, darunter

  • Justus Bier (1899–1990), der, 1936 als Kustos der Kestner-Gesellschaft in Hannover entlassen, nach der Flucht 1937 über die Schweiz bis 1960 in Louisville, Kentucky, Kunstgeschichte lehrte und dann in Raleigh Direktor des North Carolina Museum of Art wurde,
  • Horst W. Jansson (1913–1982), der Deutschland aus politischen Gründen 1935 verließ und sein Studium in Harvard fortsetzte,
  • Otto von Simson (1912–1993), der wegen seiner jüdischen Vorfahren verfolgt wurde, 1939 in die USA floh, aber 1957 in die Bundesrepublik zurückkehrte,
  • Kurt Weitzmann (1904–1993) mit seiner Frau Josepha Fiedler (1904–2000), die Deutschland 1935 (Weitzmann) bzw. 1938 (Fiedler) aus politischen Gründen verlassen hatten,
  • sowie der mittlerweile achtzigjährige Paul Frankl (1878–1962), der – 1933 entlassen – 1938 in die USA ging und ab 1940 am Institute for Advanced Studies in Princeton arbeitete.

Kauffmann setzte bei der namentlichen Begrüßung die Tatsache der Emigration – deren Ursache die rassische oder politische Verfolgung durch die Nationalsozialisten gewesen war – als bekannt voraus. Jedenfalls verlor er kein Wort darüber, warum die Kollegin und die Kollegen zum Kunsthistorikertag „weit“ hatten reisen müssen. Selbstverständliches wird eben nicht ausgesprochen. Die NS-Zeit wurde so beschwiegen beziehungsweise gerade im Schweigen thematisiert.

Dieser Befund wird durch eine weitere Beobachtung gestützt. Kauffmann redete im Folgenden über öffentliche Interventionen des Verbandes und deren Wirksamkeit. Es ging um den Umgang der Nachkriegsgesellschaft mit kriegszerstörten Bauten in Ost und West. Schon 1958 war im Verband die Wiederherstellung des Speyerer Doms erörtert worden. In erster Linie ging es um die Niederlegung von Stadtschlössern. In Braunschweig und Potsdam seien sie wie auch in Berlin „dem Erdboden gleichgemacht [worden], trotz unserer Einsprüche und Warnungen“, klagte der Vorsitzende und forderte: „Der Verband sollte, fußend auf dem von G[eorg] Dehio und P[aul] Clemen vertretenen Gedankengut, nie ruhen, seine mahnende und warnende Stimme zu erheben.“ Dies galt wohl nur im Hinblick auf denkmalpflegerische Interventionen bei der Zerstörung historischer Bausubstanz – letztlich als Folge der Kriegseinwirkung und deutscher Aggression. Der Verlust, dieser materielle Verlust, ist ein Metathema der Zeit – das Schicksal der verfolgten Kollegen war es dagegen nicht.

Bemühungen um die Aufnahme emigrierter Kunsthistoriker

Zwei Jahre später, auf dem Kunsthistorikertag 1962 in Regensburg, wiederholte sich das Muster: Nun war es Herbert von Einem (1905–1983), der die ausländischen Gäste begrüßte. Er erinnerte daran, wie er die erste Verbandstagung eröffnet hatte. Damals, so von Einem, „hatten die Fäden zwischen der deutschen und der internationalen Kunstwissenschaft, die durch die Katastrophenjahre des Dritten Reichs fast ganz zerrissen waren, noch kaum wieder geknüpft werden können“. So empfand er nun, 14 Jahre nach der Brühler Tagung, Freude und Genugtuung darüber, dass sich „in der Zwischenzeit das alte freundschaftliche Verhältnis, wie es dem Charakter und dem Rang unserer Wissenschaft entspricht, wieder hergestellt“ habe. Das Fach war in dieser Wahrnehmung wieder in den internationalen Kreis der Wissenschaft aufgenommen, der Paria-Status seiner deutschen Vertreter überwunden. Als Beleg diente ihm auch, dass er „zum ersten Mal als Mitglieder unseres Verbandes eine Reihe heute im Ausland wirkender Gelehrter deutscher Herkunft“ begrüßen konnte. Unter ihnen befand sich Leopold D. Ettlinger (1913–1989), seit 1959 Professor in London, der einen Abendvortrag zum Thema „Walhalla und Denkmalkult“ hielt.

Bei von Einem kann man sicherlich von der Verquickung persönlicher Motive mit einem wissenschafts- und verbandspolitischen Kalkül ausgehen. Einerseits ging es darum, wieder Beziehungen zu Emigranten aufzunehmen und damit gleichsam auf persönlicher Ebene symbolische Wiedergutmachung zu leisten. Kontakte zu Emigrierten sind durch Korrespondenz von Einems gut belegt, allen voran mit Erwin Panofsky (1892–1968). Des ungeachtet muss man – andererseits – sehen: Mit Blick auf die Reetablierung der Kunstwissenschaft in der internationalen Wissenschafts-Community lag es durchaus im Interesse des Verbandes, Emigranten wieder in seinen Reihen zu wissen. Ich möchte das durch Beispiele belegen:

Das Vorhaben, „ehemalige deutsche Kunsthistoriker“ – wie es bezeichnenderweise auf dem Titel des Aktenordners heißt – aufzunehmen, war schon 1960 in Basel ins Gespräch gebracht worden, als Kauffmann einen solchen Vorstoß anregte. Nach einer Vorstandssitzung vom 15. April 1961 wurden exilierte Kunsthistoriker in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, einige auch in anderen Ländern, sowie die wenigen nach Deutschland Zurückgekehrten kontaktiert, um herauszufinden, „ob eine solche Ernennung willkommen ist und ob unter Umständen weitere Personen in Betracht kommen“. Die Anschreiben hatten einen Standardtext, waren aber zumeist in persönliche Worte eingebettet, da jeder naheliegenderweise jeweils die Kolleginnen und Kollegen anschrieb, die er ohnehin kannte. Stets war von einer angetragenen Mitgliedschaft die Rede und damit die Frage verbunden, ob die Exilanten bereit wären, diese anzunehmen. Die Kontaktaufnahme und vorhergehende Nachfrage diente dem Zweck, bei Absage keinen Ansehensverlust für den Verband zu riskieren.

Soweit ich es bisher überblicke, erhielten zunächst etwa 35 Personen eine solche Einladung, darunter die eben Genannten sowie Rudolf Wittkower (1901–1971), Ernst H. Gombrich (1909–2001), Otto Homburger (1885–1964), Georg Swarzenski (1876–1957), Alfred Neumeyer (1901–1973) und Nikolaus Pevsner (1902–1983). Andere folgten. Wie viele der Angeschriebenen das Angebot akzeptierten, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend sagen.

Die Reaktionen auf die Einladung lassen sich grob in drei Gruppen aufteilen:

  1. Direkte Zusagen, die häufig die weitere Verbundenheit zu Deutschland, zur deutschen Kultur oder zum Fach und zum Forschungsgebiet enthalten:So schrieb Gertrud Bing (1892–1964), die am Warburg Institute in London arbeitete, „in dem Beschluss [zeige sich] nur den Wunsch einer engeren Zusammenarbeit mit ausländischen Kollegen, die ihre deutsche Sprache und deutsche Erziehung noch nicht vergessen haben“. In diesem Sinne antworteten auch Klaus Berger (1901–2000) von der University of Kansas in Lawrence und der an der Library of Congress in Washington tätige Edgar Breitenbach (1903–1977).
  1. Zögerliche Zusagen, die genau die Gründe der Zurückhaltung benennen:Über „den guten Willen“, den der Verband zeige, freute sich Justus Bier (1899–1990). Trotzdem führte er aus: „Ich habe erst gezögert, da es ja wahrscheinlich ist, dass ich in einer solchen Organisation auch solchen Kollegen begegnen werde, deren Gesinnung in den entscheidenden Jahren nicht eine so aufrechte wie die Ihrige [gemeint ist von Einem] war. Aber es scheint mir wichtig[,] sich nicht von solchen Bedenken in solchen Entschlüssen leiten zu lassen. Ich nehme daher gerne die Ernennung an, die ja eine Verbundenheit ausdrückt, die ich ja auch selbst durch mein Festhalten an dem einst gewählten Gebiet deutscher kunstgeschichtlichen Forschung zum Ausdruck gebracht habe.“Aus Rom antwortete Jacob Hess (1885–1969): „Mir scheint, dass ich die beibehaltene deutsche Staatsbürgerschaft nicht im Zusammenhang mit derzeitigen Landsleuten[,] sondern als meine Privatsache betrachten muss“. Das Ansinnen zur Aufnahme der Emigranten sei, „obwohl im Namen eines Instituts unternommen, offenbar auf das Wohlwollen einer Einzelperson zurückzuführen“. Es widerstrebte Hess daher, „auf einen offenbar freundlich gemeinten Gestus ablehnend zu reagieren“, weshalb er den Vorschlag dankend annahm. Er fügte hinzu, das Aufnahmeangebot gehöre „in die Rubrik ‚Wiedergutmachung‘, deren blosse Existenz anzuerkennen ist, wenn auch tiefgreifendere und, z. B. in finanzieller Hinsicht, grosszügigere Massnahmen am Platze wären“.
  1. Absagen, die meist auch wohl begründet wurden:In dieser Gruppe kommen individuelle Gründe sowie Enttäuschung und Verbitterung über den Umgang Deutschlands oder der Deutschen mit den Emigranten zur Sprache. Auffällig ist – und das kann man verallgemeinernd sagen – die häufige Thematisierung der Frage, ob die Betreffenden „noch“ Deutsche sind beziehungsweise sich selbst als Deutsche sehen und ob sie dementsprechend noch deutsche Kunsthistoriker/-innen sind.Gertrude Coor, geb. Achenbach (1915–1962), argumentierte in diese Richtung: „Da ich Deutschland nach dem Abitur […] verliess und meine Universitätsstudien in meinem Adoptivland, den Vereinigten Staaten, auf amerikanische Kosten gemacht habe und hier arbeite, gehöre ich nicht in den Verband deutscher Kunsthistoriker. Ich bin gewiss[,] dass Sie das verstehen nachdem Sie gelernt haben[,] dass ich in Amerika Kunsthistorikerin geworden bin.“

    Ähnlich reagierte auch Rudolf Wittkower, der zweifelte, ob er die Mitgliedschaft annehmen könne – nicht nur, weil er das Land lange verlassen habe und inzwischen US-Bürger geworden war. Er sah die Möglichkeit, dass amerikanische Kollegen mit Unverständnis reagieren würden. Offenbar waren auch die Identitäten als US-Amerikaner, Briten usw. fragil, so dass die Loyalität zum Emigrationsland in Frage gestellt werden konnte. Wittkower wollte daher wissen, ob andere „Ausländer“ – er benutzt diesen Ausdruck selbst – die Mitgliedschaft akzeptiert hätten. Auch Otto Homburger bat darum, dass „[s]ein Beitritt [nicht] in irgend einer Form den amerikanischen Fachgenossen gegenüber als Beispiel angeführt wird.“ Man kann also sicher davon ausgehen, dass sich die Emigranten in dieser Frage austauschten oder, wie Wittkower, ihre eigene Entscheidung von der anderer abhängig machten.

    Einen Punkt aus Wittkowers Einlassung möchte ich noch hervorheben: Er wandte ein, keine deutsche „Nationalität“ mehr zu haben; gemeint ist hier sicherlich die Staatsangehörigkeit, die oft vom NS-Regime aberkannt oder im Gastland zu irgendeinem Zeitpunkt aufgegeben worden war. Interessant ist dieses Argument der Nationalität, da hier Identität von der Staatsangehörigkeit abhängig gemacht wird (stärker als es für uns heute der Fall ist!).

1962 schlug sich die Initiative in einer Debatte über die generelle Aufnahmemöglichkeit ausländischer Kunsthistoriker nieder. Die Mitgliederversammlung diskutierte in Regensburg eine Satzungsänderung. Anstelle des Satzes „Der Vorstand kann auch korrespondierende Mitglieder … ernennen.“ in § 2 sollte treten: „Der Vorstand kann auch Mitglieder nicht-deutscher Nationalität ernennen.“ Hier kam wieder der Begriff der Nationalität vor.

Als Kauffmann in Basel anregte, „neben ordentlichen auch korrespondierende Mitglieder zu ernennen“, hatte sich Widerspruch gegen diesen Begriff erhoben, und man kam überein, den „betreffenden Kollegen die ordentliche Mitgliedschaft anzutragen“. In Regensburg wies von Einem nochmals darauf hin, dass es sich „[z]unächst um eine im Hinblick auf die emigrierten deutschen Kollegen, dann aber auch auf andere ausländische Kunsthistoriker zu schaffende Möglichkeit der Mitgliedschaft handeln solle“. Der vorgeschlagene neue Wortlaut, in dem von „nicht-deutscher Nationalität“ die Rede war und der vorab allen Mitgliedern schriftlich bekannt gemacht worden war, erregte wiederum Missfallen. Da sich die Anwesenden gegen den vorliegenden Änderungsvorschlag aussprachen, wurde „nach eingehender Diskussion“ der Wortlaut „Der Vorstand kann auch ausländische Kunsthistoriker zu Mitgliedern ernennen“ beschlossen. Leider sind die Redebeiträge, die sicherlich interessant zu lesen gewesen wären, nicht überliefert. Gleichwohl wurde die Satzungsänderung dann mit 81 Stimmen bei acht Gegenstimmen und einer Enthaltung angenommen.

Fazit

Wie sich anhand des Verfahrens der Aufnahme in den Verband und der Regulierung der Mitgliedschaft zeigt, hatten interne Entscheidungsprozesse nicht nur eine fachpolitische Tragweite. Vielmehr lassen sie auch Aussagen über die Auseinandersetzung des Verbandes mit der NS-Vergangenheit zu. An den vorgestellten Fällen wurde – zum einen – das Selbstverständnis als „deutsche“ Kunsthistoriker in der Nachkriegszeit verhandelt. Dieser Diskurs um Nation und Identität begegnete – zum anderen – auch bei der Kampagne zur Aufnahme der Emigrierten und NS-Verfolgten. Dabei lief diese Diskursebene bei der Anerkennung ihres Schicksals und der Frage mit, welchen Status sie im Verband haben sollten. Die Initiative zur Aufnahme NS-verfolgter Kunsthistoriker/-innen war eine Art symbolischer Wiedergutmachung, die als Positionsbestimmung zugleich wissenschafts- und verbandspolitisch wirksam war.

 

[1] Für den Vortrag beim Workshop „Der Verband Deutscher Kunsthistoriker 1948 bis 1968/70. Die ersten zwanzig Jahre seines Bestehens“ im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, 01./02.10.2018, wurde der Bestand im Deutschen Kunstarchiv (DKA) ausgewertet, Zitate stammen aus den Akten I B 1, I B 2, I B 4, I B 22; I B 42. Aufgrund des ursprünglichen Vortragscharakters verzichte ich auf die Nennung von Forschungsliteratur. Biografische Angaben sind entnommen aus: Betthausen, Peter, Feist, Peter H. und Fork, Christiane: Metzler Kunsthistoriker-Lexikon, Stuttgart/Weimar 1999; Dictionary of Art Historians (http://arthistorians.info [22.11.2019]) sowie Wendland, Ulrike: Biographisches Handbuch deutschsprachiger Kunsthistoriker im Exil, 2 Bde., München 1999. Der Vortragstext ist geringfügig überarbeitet und der Vortragstitel angepasst worden.

Timo Saalmann
Fürth